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Schönheit im Grotesken: Del Toros neuer Frankenstein

Nach einem eingeschränkten Kino-Release ist Guillermo del Toros Frankenstein jetzt auf Netflix streambar. Mary Shelleys Roman wird allerdings nicht zum ersten Mal verfilmt. Nicht ganz unbegründet stellt sich daher die Frage, ob diese Geschichte wirklich noch einmal erzählt werden muss. Achtung, folgender Artikel enthält Spoiler!

Schon im Alter von sieben Jahren sah Guillermo del Toro, ein mexikanischer Filmemacher, die Adaption von James Whale aus dem Jahr 1931 und erfuhr eine Art Erleuchtung. Mit elf Jahren las er den Roman von Shelley und trug seither den Wunsch in sich, die Geschichte des besessenen Wissenschaftlers, der von seiner eigenen Kreatur heimgesucht wird, zu verfilmen. Und wie von dem Regisseur von The Shape of Water und Hellboy zu erwarten, steht in seiner Version das Monster mit seinem Außenseitertum im Vordergrund.

Frankensteins Geschichte

Im eisigen, hohen Norden nimmt die Erzählung ihren Anfang. Wie in Shelleys Roman ist es der Kapitän eines feststeckenden Exkursionsschiffes, der den angeschlagenen Victor Frankenstein (Oscar Isaac) nach einem Kampf mit Frankensteins Monster (Jacob Elordi) an Bord holt und sich dessen Geschichte erzählen lässt. Nach dem frühen Verlust seiner Mutter (Mia Goth) entschloss sich Frankenstein dazu, eines Tages eigenständig Leben zu erschaffen. Mit der finanziellen Unterstützung des Waffenhändlers Heinrich Harlander (Christoph Waltz) gelingt es ihm schließlich.

Im Eismeer beginnt und endet die Geschichte. Bild: David Yu auf Pixabay

Schnell ist Frankenstein unzufrieden mit seiner Schöpfung und versucht, sie durch eine Explosion zu töten. Doch sein Monster überlebt und die Welt wird nun aus seinen Augen erzählt: kindesähnlich erkundet es die Umgebung. Das friedvolle Leben hält jedoch nicht lange an, die Kreatur muss fliehen und begibt sich auf die Suche nach ihrem Schöpfer. Dies endet allerdings in einer Auseinandersetzung, bei der sowohl Frankensteins jüngerer Bruder William (Felix Kammerer) als auch dessen Verlobte Elizabeth Harlander (ebenfalls Mia Goth) umkommen. Frankenstein eröffnet nun die Jagd auf das Monster — bis in den eisigen Norden verfolgt er es wie besessen und so schließt sich der Kreis zurück zur Anfangsszene des Films. 

Eindrucksvolle Bilder

Einiges erscheint grotesk und befremdlich. Etwa die Apparaturen in Frankensteins Labor, die blutigen Straßen und hohen Bauten Edinburghs sowie die präparierten Leichen, die vielfach zu sehen sind. Im Kontrast dazu stehen die Naturaufnahmen und prunkvolle Innenräume. Es handelt sich um einen bildgewaltigen Film, in dem jede Szene sorgfältig und detailliert gestaltet ist. Weitwinkelaufnahmen erlauben es den Zuschauer*innen, in diese schöne und gleichzeitig irgendwie verstörende Welt einzutauchen.

Ebenso lassen viele praktische Effekte das Ganze lebendig wirken: etwa der wiederbelebte Körper aus der Hörsaalszene oder auch das Schiff im Eismeer, das auf Stelzen gefilmt wurde. Und während die Bilder durchaus auch zum Gruseln sein können, handelt es sich hier nicht um einen Horrorfilm. Klassischer Horror lebt von Bedrohung, Grausamkeit und einer Figur, die bewusst Terror verbreitet. Del Toros Kreatur dagegen ist zwar übernatürlich und körperlich unbesiegbar, doch fehlt ihr die gefährliche Skrupellosigkeit, die sie im Originaltext auszeichnet. Dies zeigt sich auch an der Gestaltung der Figur selbst.

Das wahre Monster

Die von Jacob Elordi verkörperte Version von Frankensteins Kreatur ist nicht das grüne, mit Narben versehene Wesen aus der Verfilmung von 1931, sondern nimmt eine fast porzellanartige Gestalt an. Es soll jedes Mal zwischen zehn bis zwölf Stunden gedauert haben, dem Schauspieler dieses Aussehen mithilfe von Make-Up und Prothesen zu verleihen. Anders als in der Romanvorlage schreckt Frankenstein beim Anblick seiner Kreatur auch nicht entsetzt zurück, sondern bewundert das Ergebnis seiner manischen Bestrebungen.

Jedoch nur so lange, bis er die Geduld verliert. Frankenstein quält das Wesen, als es nicht lernt zu sprechen und wird immer grausamer. Elordis Charakter dagegen vermittelt kindliche Unschuld und – trotz der äußeren Unverwundbarkeit – eine Verletzlichkeit, mit der nur Elizabeth zu sympathisieren scheint. Auch begeht dieses Monster nicht mehrere reuelose Morde wie in der Romanversion, um seinen Schöpfer in die Enge zu treiben. Zuschauer*innen erleben zunächst, wie das Wesen in märchenähnlicher Szenerie neugierig die Welt um sich herum erkundet und sich die Frage nach seinem Ursprung stellt. Erst als es die Wahrheit über seine Herkunft erfährt und der Zorn auf seinen Erschaffer erwacht, wird es angsteinflößend.

Als Inspiration für die Kreatur diente dem Maskenbildner Mike Hall die St.-Bartholomäus-Statue. Bild: IgorSaveliev auf Pixabay

Frankensteins Charakter verliert dagegen an Tiefe und gewinnt an Grausamkeit. Etwas von der Ambivalenz des Originaltextes geht hier verloren, wenn deutlich wird, wer das eigentliche Monster ist. Er ist arrogant, grausam und vollkommen unberührt von allem, was nicht mit seiner Vision zu tun hat. Er will die Kreatur töten und entmenschlicht sie. Auch behauptet er mehrmals, sie hätte Menschen ermordet, um den Hass auf sie zu lenken. Einzig die durch den eigenen Vater erfahrene Gewalt und der Verlust der Mutter sowie seine Reue am Ende des Films können ihn möglicherweise in ein etwas besseres Licht rücken.

Ein Gottkomplex mit massiven Folgen

Gott spielen – das ist es, was Frankenstein, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen für seine Schöpfung oder Mitmenschen, tut. Es ist sein persönliches Projekt, künstliches Leben zu erschaffen, doch als es ihm endlich gelungen ist, kann er nichts damit anfangen. In Anbetracht aktueller Entwicklungen zu künstlicher Intelligenz lässt sich sicherlich einiges aus der Geschichte mitnehmen. Del Toro erklärte in einem Interview, er habe die Arroganz des Wissenschaftlers an die von „Tech Bros“, sprich Männer aus der Technologiebranche, die ihren Wert nur auf Reichtum legen, angelehnt.

„Er ist irgendwie blind, indem er etwas schafft, ohne die Konsequenzen zu bedenken, und ich denke, wir müssen innehalten und überlegen, in welche Richtung wir gehen“, so der Regisseur über Victor Frankenstein. Und auch wenn der Filmemacher zwar ablehnt, dass es sich konkret um eine Allegorie zu KI handelt, sendet der Film doch eine wichtige Botschaft in Bezug auf menschliche Verantwortung – gerade in Zeiten rasanter, technologischer Entwicklungen.

Ein Mosaik

Während die im Original so ambivalente Frage nach dem Monster hier eindeutig beantwortet scheint – schließlich steckt es bereits im Untertitel –, rücken andere Themen in den Vordergrund. Statt den Fokus auf ein misslungenes Experiment zu legen, sind es Themen wie Vergebung und gegenseitiges Verständnis, die del Toro in den Vordergrund stellt. So werden die Beziehung zwischen Vater und Sohn und die Rolle von intergenerationellem Traumata sehr betont. Dabei soll vieles aus persönlichen Gesprächen zwischen Oscar Isaac und Guillermo del Toro über ihre eigenen Erfahrungen entstanden sein.

Del Toro verleiht dieser Version ein hoffnungsvolleres Ende. Bild: Yaroslav Shuraev auf Pexels

Auch versuchte del Toro, Shelleys eigene Biographie in der Geschichte hervorzuheben. Die Autorin verlor kurz nach ihrer Geburt ihre Mutter, was sich in den Themen ihrer Erzählung widerspiegelt. „All diese Verschmelzung von Geburt, Tod und der Abwesenheit von Gerechtigkeit oder Gott“, das seien die Aspekte, die der Film hervorbringen wollte, so der Regisseur im Interview mit Den of Geek. Und trotz vieler Veränderungen an den Figuren und Abläufen blieb der neue Frankenstein nah an diesen Grundthemen des Romans. Ähnlich einem Mosaik gelang es del Toro und seinem Team, eigene Erfahrungen, den persönlichen Stil des Regisseurs und die Bezüge des Originaltexts zu einem eindrucksvollen Filmerlebnis zu verweben.

Del Toros Kunstwerk?

Es handelt sich eindeutig um del Toros Frankenstein: Wer eine eins-zu-eins-Umsetzung des Originals oder einen klassischen Horrorfilm erwartet, könnte vielleicht enttäuscht sein. Als Regisseur, Produzent und Drehbuchautor der Verfilmung verlieh er der Erzählung seine eigene Note. Und gemeinsam mit der Filmcrew schuf Guillermo del Toro ein Kunstwerk, das vielleicht sogar sein finaler Monsterfilm sein könnte. So kann für alle Fans von seinen Filmen und schaurig-schönen Geschichten für diesen Film eine Empfehlung ausgesprochen werden.

Beitragsbild: Ally Griffin auf Unsplash

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