Montagabend, den 11.11.2024, wurde es in Reutlingen ziemlich sommerlich – und das trotz regnerischer Kälte vor den Türen des Kulturzentrums franz.K. Mit einer Mischung aus Melancholie, Euphorie und Gesellschaftskritik wärmt die Band IL CIVETTO die Herzen der Besucher*innen. Ein Veranstaltungsbericht über ein Konzert der ganz besonderen Sorte.
Ein strahlendes Lächeln ist das Erste, was man an den Bandmitglieder von IL CIVETTO bemerkt. Und dieses Lachen geht zu keinem Zeitpunkt des Konzerts wirklich verloren. Selbst während melancholisch-traurigen Songs verschwindet die Wärme der Band nicht. Es ist eher so, als würden sie sich danach mit noch mehr Elan in die nächsten Lieder stürzen.
Ein Abend, der hebt, was im Alltag schwer ist
Balkan, Funk, Pop und Reggae. Irgendwo zwischen diesen Genrerichtungen bewegt sich IL CIVETTO, manche Lieder eher ruhig und melancholisch, andere groovy und mitreißend. Die Band beschäftigt sich in ihren Songs unter anderem mit aktuellen politischen Themen, vergangenen Zeiten und gesellschaftlichen Normen. Während ihre Texte teilweise schwierige und umtreibende Fragen behandeln, wirkt die Musik wie ein Sonnenstrahl hinter dunklen Gewitterwolken. Sie vermitteln ihre Kritik an der Gesellschaft und der Politik durch mitreißende Saxophon-Solos und eingängige Melodien, kein Fuß steht an diesem Abend still.
Nicht nur die Musik erinnert an einen lauen Sommerabend: Das Bühnen-Setup der Band spiegelt die Stimmung von IL CIVETTO wieder. Neben den großen, blauen Buchstaben stehen bunt angemalte Pflanzen und eine Sammlung an Instrumenten. Beleuchtet wird das ganze mal lila, mal rosa oder tiefblau – je nachdem, welches Setting der aktuell performte Song benötigt.
Hinterm Gewitter ist ‘n klein bisschen bunt
Zukunft im Wind – IL CIVETTO
So viel verlor’n, nur die Nacht gehört uns
So kann das Thema „Diversität“ nicht nur im Lyrics, sondern auch in den Outfits der Bandmitglieder und in ihrer Bühnengestaltung wiederentdeckt werden.
Gemeinsam zwischen Bühne und Wohnzimmer
Der Abend fühlt sich an wie eine Mischung aus entspanntem Get-Together mit guten Freund*innen und einer großen Party. Sänger und Instrumentalisten vermitteln vom ersten Ton an ein sicheres, wohliges Gefühl: Hier sind Emotionen aller Art erlaubt und willkommen. Während des Konzertes können die Bandmitglieder immer wieder dabei beobachtet werden, wie sie innehalten, die Augen schließen und die Situation in sich aufnehmen.
Nicht nur das Publikum verdrückt ein, zwei Tränen: Sänger Leon Keiditsch zeigt sich nach seinem sehr persönlichen Song „Fragen“ emotional. Das Lied handelt von seinem verstorbenen Vater und nun vergangenen Chancen, sich besser kennenzulernen und gemeinsam älter zu werden. Diese offene Art und Weise mit den eigenen Gefühlen umzugehen wird auch in anderen Songs, wie „Boys Do Cry“, aufgegriffen – Emotionalität ist menschlich und natürlich.
Mit Herz und Haltung singen
Zu Beginn des Konzertes gibt es eine kleine Programmänderung: Aufgrund von Krankheit kann der vorgesehene Supportact Lara Hulo nicht anreisen – als ebenbürtiger Ersatz tritt Sänger Sinu auf die Bühne. Mit seinen gefühlvollen Stücken führt er das Publikum langsam in den Abend hinein und sorgt mit viel Animation für eine lockere Atmosphäre. Vor allem seine bilingualen Songtexte – Türkisch und Deutsch – laden auf eine ferne Gedanken- und Gefühlsreise ein.
In Sinu’s Liedern thematisiert er oft seine Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung, ausgelöst durch seine Abstammung – ein türkischer Vater und eine deutsche Mutter. Wie auch IL CIVETTO verarbeitet Sinu seine Vergangenheit mithilfe von Songs: In „Deutschland, Deutschland 21“ besteht der Refrain aus rassistischen Anmerkungen und Kommentaren, welche ihm von Menschen entgegengebracht wurden. Mit Bezug auf das Bündnis „Kein Bock auf Nazis“ ruft er zu einer pluralistischen und gleichwertigen Gesellschaft auf – und setzt damit auch die Stimmung für die folgenden Stunden: Dieses Konzert bietet keinen Platz für Hass, Ungerechtigkeit und politisch rechte Ansichten.
Tanzend gegen den Ernst der Welt
Der Spaß der Band auf der Bühne überträgt sich auf das Publikum: An diesem Abend stand keine Person still. Aber selbst zwischen Tanzen, Singen und Lachen geht die Tiefe der Songtexte nie verloren. IL CIVETTO zeigt, wie man den heutigen Problemen mit einer positiven Attitüde entgegentreten kann. Sie beflügeln, ohne abzuheben. Sänger Leon Keiditsch steht das komplette Konzert sockig auf der Bühne – bodenständig, im wahrsten Sinne des Wortes.
Beitragsbild: Hanna Neumann
Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Medienpartnerschaft mit dem Kulturzentrum franz.K Reutlingen.