Satire

Nach Venedig: Reutlingen setzt Zeichen gegen Massentourismus

Vor einigen Monaten hat die Lagunenstadt Venedig eine Eintrittsgebühr von fünf Euro eingeführt, um sich vor den Menschenmassen zu beschützen. Negative Anreize sollen also Reisende fernhalten. Nun zieht Reutlingen nach. Was geplant ist, um die schwäbische Metropole vor Überfüllung zu beschützen, erfahrt ihr hier.

Massentourismus ist ein Problem des 21. Jahrhunderts. Nicht wenige Orte auf der Welt leiden darunter, vor allem sind jedoch europäische Großstädte betroffen. Prag, Paris, Florenz: Tagtäglich kommen zehntausende Menschen an, um durch die historischen Gassen zu laufen, traditionelle Speisen zu kosten oder Fotos von antiken Gebäuden zu schießen. Während durch die Reise für die Touristen ein Traum in Erfüllung geht, ist deren Ankunft für die Stadtbevölkerung jedoch eher ein Albtraum: Lärm, Müll, steigende Preise, überfüllte Restaurants in der eigenen Heimatstadt und eine zunehmende Kommerzialisierung von Kultur nagen an der Lebensqualität der Städte.

Venedig zog dieses Jahr die Reißleine und führte eine Eintrittsgebühr von fünf Euro für alle ein, die in der Stadt ankommen, ausgenommen Anwohner, Pendler und Übernachtungsgäste. Auch Kreuzfahrtschiffe dürfen in der historischen Stadt nicht mehr anlegen. Um dem Phänomen des Massentourismus auch im Ländle entgegenzusteuern, hat sich Reutlingen nun inspirieren lassen.

Reutlingen sehen und sterben

„Wir müssen dir leider mitteilen, du bist in Reutlingen“ – so begrüßt die Stadt ihre Ankömmlinge seit vorletzter Woche. Die Posterreihe unter dem Titel Reutlingen kannst du nicht mögen ist nur Schritt 1 einer ausgeklügelten Strategie, die die Massen im Zaum halten soll. „Wir freuen uns zwar, wenn Menschen Interesse an Reutlingen haben,“ gibt Michael Schlau-Meier, Vorsitzender der Reutlinger Tourismuskommission, im Interview mit der Kupferblau zu. „Schließlich gibt es hier viele Sehenswürdigkeiten, zum Beispiel… Moment…“  Er unterbricht sich kurz, um einen Blick auf seinen Notizzettel zu werfen. „Ach richtig, die Marienkirche zum Beispiel. Der Westturm ist mit 71 Metern ganze 15 Meter höher als die Stiftskirche in Tübingen!“

Natürlich wollte Schlau-Meier nicht darauf verzichten, die Sehenswürdigkeiten Reutlingens in die Kampagne einfließen zu lassen. Bild: Jan Lukas Weiss

Doch das sei nicht alles. Allein der historische Bahnhof, erbaut im Jahr 1859 (drei Jahre älter als der Bahnhof in Tübingen), sei ein architektonisches Meisterwerk. „In der edlen Bahnhofsvorhalle befindet sich eine Bäckerei und ein Zeitschriftenladen, was den Bahnhof zum perfekten Shopping-Bahnhof macht,“ erklärt Schlau-Meier. „Außerdem laden die Bänke im Ostflügel des Gebäudes zum Verweilen ein.“

In den letzten Jahren sei die Anzahl der Menschen, die am Wochenende in der Stadt unterwegs sind, jedoch zur Belastungsprobe geworden. „Wir profitieren von diesem Massentourismus überhaupt nicht,“ sagt Schlau-Meier. „Es kann nicht sein, dass Menschen nach Reutlingen fahren, nur um sich kurz durch die engste Straße der Welt zu quetschen, und dann direkt weiterfahren,“ meint er. „Zum Beispiel nach Tübingen,“ fügt er mit knirschenden Zähnen hinzu. In den letzten Jahren habe es eine Beschwerde von einer Anwohnerin der Spreuerhofstraße gegeben, da zwei amerikanische Touristen um 22:04 Uhr, also kurz nach der gesetzlichen Nachtruhe, noch lautstark durch die engste Straße der Welt gegangen waren.

Auswirkungen für alle spürbar

Die Lebensqualität in der Altstadt leide sehr unter den vielen Reisenden, meint Schlau-Meier. „Es geht ja nicht nur um die Spreuerhofstraße, nein, die ganze Altstadt ist betroffen.“ Vor allem merke man das in der Gastronomie. Reutlingen verfüge über eine große Gastro-Szene, darunter zum Beispiel das Kebab-Haus am Bahnhof, der Döner-Laden in der Einkaufsstraße dahinter und die zwei türkischen Schnellrestaurants in derselben Straße, hinter der Marienkirche. „Inzwischen muss man manchmal jedoch mehr als fünf Minuten warten, um einen Döner zu bestellen, das geht zu weit.“ Man merke eben, dass bewährte Gastronomie geschätzt werde, sagt er. Während Tübingen auf kurzlebige Trends wie Falafel oder Bowls setze, werde in Reutlingen eben bewährte Kochkunst geschätzt, was die große Popularität des Döners erkläre, meint Michael Schlau-Meier.

Bilder: Jan Lukas Weiss

Gegen Tübingen habe er übrigens nichts. „Ich habe nichts gegen Tübingen,“ bestätigt er noch einmal. „Um die Touristenmassen beneiden wir Sie nicht.“ Die große Popularität von Reutlingen zeige seiner Ansicht nach jedoch auch, dass Einzigartigkeit sich auszahle. „Was hat schon Tübingen?“ fragt er. „Ein paar Fachwerkhäuser, ein Schloss, einen Fluss, das hat ja wohl jede Stadt in Baden-Württemberg.“ Reutlingen setze auf seine Markenzeichen.

Poster-Aktion als effizientestes Mittel

Die Aktion Reutlingen kannst du nicht mögen sei übrigens nicht die erste Wahl auf der Suche nach einer Strategie gewesen. Einige andere Vorschläge wurden abgelehnt. Eine Verlegung von Reutlingen ins Ruhrgebiet, wo man durch die Nähe zu optisch ähnlichen Städten vom Tourismus-Radar verschwunden wäre, hatte sich einer Machbarkeitsstudie zufolge als zu große logistische Herausforderung herausgestellt. Als ebenso schwer umsetzbar erachtete die Tourismuskommission eine Umbenennung von Reutlingen in „Truppenübungsplatz Echaztal“, um dadurch auf Google Maps weniger hervorzustechen.

Ebenfalls abgelehnt wurde der Vorschlag, Reutlingen in einen originalgetreuen Nachbau von Hannover zu verwandeln. „Das wollten wir den Reutlingerinnen und Reutlingern einfach nicht antun,“ erinnert sich Schlau-Meier.

Dass die Poster-Kampagne so schnell viral gegangen war, freut ihn. „Ich bin zwar überrascht, dass viele unsere Kampagne für einen Scherz halten“, meint er. „Solange sie jedoch ihren Zweck erfüllt, bin ich zufrieden. Vielleicht kann man schon bald wieder sonntags zur Achalm wandern, ohne dabei tausendfach auf Instagram zu landen,“ sagt er und lächelt.

Um zu bestätigen, dass Michael Schlau-Meier nicht neidisch auf Tübingen ist, habe man auch ein Plakat gemacht, das auf die Rivalität zwischen den Städten anspielt. Eine Rivalität auf Augenhöhe, wie Schlau-Meier betont. Bild: Jan Lukas Weiss

Anmerkung des Redakteurs: Dies ist ein Satire-Beitrag. Reutlingen ist eine angenehme und liebenswerte Stadt, wie man an den Geschichten auf nurlieben.de nachlesen kann, die Website der Aktion „Reutlingen kannst du nicht mögen“. Auch wenn der SWR Reutlingen mit den Worten „Viel Beton, wenig Charme“ beschreibt, bietet auch Reutlingen Platz für eine angenehme Zeit abseits der Massen in Tübingen, wo man als Studi jedes zweite Gesicht kennt. Liebes Reutlingen, wir schicken viel Liebe aus Tübingen! Eure Kupferblau.

Beitragsbild: Jan Lukas Weiss

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