Wie fortschrittlich ist Deutschland bei der Erforschung und Bekämpfung des Coronavirus? Und welche Bedeutung hat Tübingen als Technologiestandort? Antworten darauf lieferte ein Diskussionsabend mit zwei Menschen, die es wissen müssen: Die Gründer*innen der Tübinger Biotech-Unternehmen CureVac und CeGaT.
Der Beginn der Krise aus der Sicht von Unternehmen
Am vergangenen Montagabend, den 14. Dezember, veranstaltete das Weltethos-Institut die Veranstaltung „‚Erst Tests, jetzt Impfung?‘ Tübinger Biochemie gegen Corona im Stadtgespräch“. Der Politikwissenschaftler Dr. Christopher Gohl moderierte dafür die Diskussion mit Dr. Ingmar Hoerr, Biologe und Gründer des Impfstoffpioniers CureVac und Dr. med. Dr. rer. nat. Saskia Biskup, Humangenetikerin und Gründerin des Tübinger Diagnostik-Vorreiters CeGaT GmbH.
Zunächst diskutierten Hoerr und Biskup darüber, welche Eindrücke ihre Unternehmen zu Beginn der Pandemie hatten. Biskup erzählte, dass auch sie schon im März sehr vorsichtig war und dennoch zu den ersten Erkrankten in Tübingen zählte. Daher habe sie auch früh gesehen, wie gefragt die Tests seien. Denn sie merkte, dass sie sich nur testen lassen konnte, weil sie gute Kontakte hatte. Auch als sie ihre Kontakte zur Nachverfolgung niederschrieb, wurde ihr klar, dass das Gesundheitsamt nicht in der Lage war, alles abzuarbeiten. Auch Herr Dr. Hoerr erzählte, dass ihm schon sehr früh der Ernst der Lage bewusst gewesen war.
Reaktionen auf die Krise in Tübingen
Für die wissenschaftliche Community sei es von Anfang an klar gewesen, dass sich das Virus durch die Globalisierung in alle Erdteile ausbreiten würde, sagte Dr. Hoerr. Er betonte jedoch, dass man dafür kein Seuchenkenner sein müsse. Die Firma CureVac musste sich dann der Herausforderung stellen, ihre Programme umzustellen. Während ihr Forschungsschwerpunkt eigentlich in der Krebsforschung lag, war nun ein anderer Fokus gefragt. Das Problem: Zwar gehe die Entwicklung von RNA-Impfstoffen schnell, jedoch liege eine große Schwierigkeit in ihrer Distribution.
Auch die CeGaT GmbH hatte ursprünglich andere Schwerpunkte, doch das Management erkannte den Bedarf und diskutierte frühzeitig den Aufbau von Testkapazitäten. In der Diskussion brachte Biskup jedoch auch Ärger über die politischen Entscheidungen zum Ausdruck. Erst am 13. August habe das Unternehmen die Nachricht erhalten, drei Tage später Tests am Flughafen durchzuführen. Genug Materialien und Personal waren zu diesem Zeitpunkt zwar vorhanden, dennoch war CeGaT auf Hilfe angewiesen, die beispielsweise durch die gute Zusammenarbeit zwischen Tübingen und Reutlingen gesichert war. CeGaT musste zudem feststellen, dass beispielsweise Pipettierroboter von Bosch schon im März vergriffen waren. Es fehlte also nicht nur an Schutz-, sondern auch an Laborausrüstung, weshalb viel Improvisation nötig war.
Schlechtes Investitionsklima verhindert Innovation
Die Biotechnologie-Regionen in Deutschland seien recht überschaubar. Den Biotech-Standort Tübingen beschrieb Herr Dr. Hoerr als ein schönes Cluster. Es sei zwar relativ klein, doch dadurch sei die Kommunikation untereinander enger und persönlicher. Dennoch würde er sich über weiteres Wachstum freuen. Auch Frau Dr. Dr. Biskup erklärte, dass die persönlichen Kontakte dabei hälfen, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen.
Dr. Hoerr zeigte sich dennoch davon überzeugt, dass die Biotechnologie-Industrie in Deutschland größer sein könnte. Das Ökosystem für solch eine Ausbreitung der bisher kleinen Community sei allerdings noch nicht gegeben. Da Biotechnologie kostenintensiv ist, sei es schwierig, Kapital nach Deutschland zu holen. Außerdem sei das Innovationsklima in Deutschland nicht so gut. Biotechnologie-Unternehmen in Deutschland seien stark von der Risikokapitalszene abhängig. Ohne Akteur*innen. wie beispielsweise die Strüngmann-Brüder, wäre der Ausbau der Biotech-Industrie in Deutschland noch kleiner gewesen. Andreas und Thomas Strüngmann, die Gründer des Pharmaunternehmens Hexal, investieren schon lange in Firmen der Biotech- und Gesundheitsbranche. Die Aversion gegen Investitionen in Biotech-Unternehmen in Deutschland führte Hoerr auf eine Herdenmentalität zurück. Wenn es nicht schon große Biotech-Standorte gebe, würden Venture-Capital-Unternehmen eben nach Boston gehen, eines der größten Zentren der Biotechnologie-Industrie.
Unternehmen im Bereich der Humangenetik wie CeGaT hingegen seien nicht ganz so risikokapitalabhängig wie die Medikamentenentwicklung. Dennoch seien auch in ihrem Bereich die Rahmenbedingungen nicht gegeben, beklagte Dr. Dr. Biskup. Biweilen könne die Diagnostik noch nicht direkt an den Patienten herangebracht werden. Auch das Thema Datenschutz erschwere dabei vieles, da es für Themen wie die Speicherung von Daten und der Zugriff auf genetische Datenbanken keine einheitlichen Regelungen gebe.
Einer der Schwerpunkte der CeGaT GmbH ist die Präzisionsdiagnostik. Das Unternehmen kann Erbgut innerhalb von zwei Wochen entschlüsseln und Krankheiten erkennen. So findet nicht nur eine Diagnose in kürzester Zeit statt, sondern auch die Festlegung einer Therapie. Somit wirke die Präzisionsdiagnostik in die Patientenversorgung hinein, erklärte Biskup. Sie bedauere, dass die Investitionen in die Medikamentenentwicklung und Therapie sehr hoch seien, aber nicht in die Diagnostik. Dabei könne man durch mehr Diagnostik Geld bei der Therapie einsparen.
Kritische Rolle der Humangenetik und RNA-Impfung
Die Diagnostik ist für die Corona-Forschung bedeutsam, um herauszufinden, wer schwer erkrankt. Um eine möglichst wirksame Massenimpfung zu entwickeln, so Biskup, müsse man die therapeutischen Maßnahmen bei einer Corona-Erkrankung sowie einer Corona-Impfung diagnostisch begleiten. Für solche differenzierten Daten seien jedoch Langzeitstudien nötig.
Hoerr beschrieb die Schwierigkeiten im Umgang mit RNA-Impfstoffen. Für die RNA-Impfung, an welcher CureVac arbeitet, habe man zunächst lernen müssen, mit der RNA richtig umzugehen, da sie äußerst instabil sei. Es erfordere viel Arbeit, die unterschiedlichen Techniken zum Umgang mit solchen instabilen Impfstoffen zu untersuchen. Die Firma CureVac habe ebendies betrieben, um auch die Infrastruktur der Verteilung des Impfstoffes voranzutreiben. Das Ergebnis: Der CureVac-Impfstoff könne bei nur vier Grad Celsius gelagert werden und biete somit ein Angebot für weniger reiche Länder. Zudem müsse ein marktgerechter Preis gefunden werden, um den Impfstoff breiter zugänglich zu machen.
Dr. Hoerr erklärte, dass trotz weitverbreiteter Behauptungen eine RNA-Impfung das Erbgut nicht verändern könne, da der Impfstoff nur wenige Stunden im Körper verbleibe und es sich daher um eine Hier-und-Jetzt-Aufnahme handle. Daher sei es ihm wichtig, Menschen zu überzeugen, sich impfen zu lassen, um eine Herdenimmunität zu erzielen.
Corona-Krise als Chance für die deutsche Biotech-Industrie?
Auch über die politischen Rahmenbedingungen diskutierten Hoerr und Biskap, da diese notwendig seien, um Projekte schnell und wirksam voranzutreiben. Biskup lobte dabei andere Länder als Vorbilder in der genomischen Medizin (z.B. das Vereinigte Königreich und die Niederlande). So gebe es drei Dinge, die Deutschland nicht schaffe: Einen gemeinsamen genetischen Datenpool aufzubauen, Qualitätssicherung und Standardisierung zu betreiben, und den Zusammenschluss von Forschung und Diagnostik durchzuführen. Diese Aspekte seien grundlegend, um effizienteres Forschen und eine bessere Patientenversorgung zu ermöglichen. Dr. Hoerr setzte seinen Schwerpunkt bei der schwierigen Finanzierung wichtiger Technologien.
Die Referenten beendeten die Diskussion mit der Hoffnung, die Situation bis August 2021 in den Griff zu bekommen, sodass eine Rückkehr in den Alltag wieder möglich sei.
Die Diskussion fand im Rahmen der virtuellen Ringvorlesung „Was lernen wir in Tübingen aus der Corona-Krise?“ statt, die das Weltethos-Institut im Wintersemester veranstaltet. Jeden Montag ab 18:15 diskutieren dort Vertreter*innen der Stadtgesellschaft und der Universität über Themen, die durch die Corona Krise in den Vordergrund gerückt sind.
Ihr möchtet mehr über CureVac erfahren? In unserer kommenden Print-Ausgabe Anfang 2021 wird es ein ausführliches Interview mit Dr. Ingmar Hoerr, dem Gründer des Tübinger Biotech-Unternehmens geben.
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