Verrückt und farbenfroh startete im vergangenen Oktober die Drag Show „Sweet and Spicy“ in Tübingen. Die Gruppe veranstaltete bis Februar vier Shows, die zu großer Begeisterung und ausverkauften Tickets führten. Dann kam die Coronakrise und legte sämtliche Pläne und Ziele auf Eis. Kupferblau interviewte den Studenten Jan O. alias Honey Mustard über Animal Crossing, Dehnübungen und Personality.
Als Student der Erziehungswissenschaft unterscheidet sich der 24-jährige Jan O. nicht sonderlich von anderen Studierenden. Doch ein Blick in seinen Kleiderschrank verrät: da steckt noch viel mehr in ihm. Und das ist bunt und queer. Im Interview erzäht uns Jan O. von seinen Drag Shows und seinen Auftritten als “Honey Mustard”.
Starten wir mit der wichtigsten Frage zurzeit: Wie geht es dir?
Es ist okay. Mir fällt ein bisschen das Dach auf den Kopf. Wie alle anderen habe ich mir das Jahr 2020 etwas anders vorgestellt. Momentan muss ich abwarten bis ich wieder eine Veranstaltung machen darf, und abwarten, bis ich weiter weiß mit meinem Studium.
Bevor die Coronakrise losging, hattest du zwischen Oktober und Februar vier sehr erfolgreiche Shows in Tübingen. Dreimal im Epplehaus und einmal im Café Haag. Wie hart hat dich diese Krise getroffen?
Es war ziemlich schei**, weil ich kurz vorher meine Bachelorarbeit abgegeben hab und Drag dadurch quasi meine Hauptbeschäftigung wurde. Durch die Trinkgelder war es sogar eine kleine Einnahmequelle. Aber das ist eigentlich gar nicht die Hauptsache. Ich vermisse es so sehr zu performen. Und da es nicht absehbar ist, bis wann größere Veranstaltungen wieder stattfinden können, wird das jetzt eine Weile nicht mehr gehen. Die Leute standen bis jetzt immer eng aneinander, weil drei von vier Shows komplett ausverkauft waren.
Ich hatte für mich und die anderen aus der Sweet and Spicy Gruppe endlich diese Plattform geschaffen. Jetzt ist es einfach weggenommen. Keiner weiß wie lange das noch andauern wird.
Hattest du geplante Shows, die ihr aufgrund der Coronakrise absagen musstet?
Ja. Wir haben eine Planung abgebrochen, aber es war noch nichts angekündigt gewesen. Wir hatten geplant etwas im Fichte-Haus zu machen. Dort hätten wir eine größere Räumlichkeit und eine größere Bühne. Wir hätten eine viel größere Show gemacht mit viel mehr Leuten als vorher.
Wie gehst du gerade mit der Situation um? Gibt es etwas, das dir Optimismus gibt?
Was mir Optimismus gibt, ist, dass gerade sehr viel versucht wird digital umzumünzen. Leute spenden Geld bzw. geben Trinkgeld für Online-Performances. Meine Gruppe und ich haben auch die Idee, ein paar Onlinevideos zu machen. Der CSD Freiburg möchte ein paar Onlinesachen hochladen und da könnte man mich vielleicht auch wiederfinden demnächst. Das gibt mir auf jeden Fall Optimismus. Dass das eine kreative Community ist und dass viel versucht wird, Lösungen zu finden, statt sich der Misere hinzugeben.
Wie sieht dein Alltag gerade aus?
Da ich meine Bachelorarbeit jetzt schon abgegeben habe und eigentlich geplant hatte, die Zeit vorm Master mit Arbeit zu füllen oder ein Praktikum zu machen oder mich ganz auf die Drag Shows zu konzentrieren und nichts mehr davon möglich ist, habe ich nix zu tun. Das heißt, wie ein Haufen anderer Idioten spiele ich Animal Crossing, gehe irgendwelchen Hobbies nach und versuche mich soweit fit zu halten, damit ich nicht wie ein nasser Sack Mehl auf der Bühne stehe, sobald die Sache vorbei ist. Ich versuche zum Beispiel ein bisschen Dehnübungen zu machen, um vielleicht mal coolere Sachen zu machen, wie mein Bein höher als meine Hüfte zu bekommen. Ich versuche weitmöglichst Vorteile für mich persönlich aus der Situation zu ziehen, dass ich jetzt zuhause bin und nichts zu tun habe.
Gibt es also eine große Erwartungshaltung vom Publikum an deine Performance-Talente als Drag?
Ja. Momentan liegt meine Stärke darin, auf der Bühne Emotionen rüberzubringen, aber was Tanzen betrifft, versuche ich auf jeden Fall noch nachzulegen, wenn noch mehr aus unseren Shows werden soll. Tatsächlich bin ich mit Stand-Up-Comedy eingestiegen, bevor ich meine eigenen Shows gestartet habe. Das waren so die Anfänge von Honey Mustard.
Jetzt kommt vermutlich die Frage, die du schon oft beantworten musstest: Wer ist Honey Mustard?
(lacht) Honey Mustard ist auf jeden Fall ein Freak und ein weird kid. Sie ist laut und outgoing und auf jeden Fall immer extrovertiert. Das was ich selbst nicht immer bin. Also, ich habe schon auch so eine Seite an mir, aber Honey Mustard ist das halt immer und zu 100 Prozent. Sie geht auf Leute zu und möchte mehr mit ihnen machen. Ich selbst bin normalerweise niemand, der von sich aus auf andere zugeht.
Wie viele Dragkostüme besitzt du?
Also ich habe mehr Dragkleidung, als ich Boy-Kleidung habe. Man kauft eben für einen Auftritt eine Sache, die zieht man nie wieder an. Und dann hängt sie da.
Das klingt nach einer teuren Angelegenheit. Wie viel Geld gibst du dafür ca. aus?
Schwierige Frage. Es ist sehr teuer. Alles was ich von den Shows eingenommen habe und für mich selbst, ist zu 100 Prozent wieder in Drag reingeflossen und dann habe ich nochmal 50 Prozent draufgelegt. Es ist auf jeden Fall ein Minusgeschäft.
Machst du die Shows dann hauptsächlich aus Spaß an der Sache?
Das schon. Aber der Traum ist natürlich trotzdem, irgendwann soweit zu kommen, dass man das beruflich machen kann und tatsächlich daran verdienen kann. Man soll ja sein Hobby zum Beruf machen. Mein größter Traum wäre natürlich durch die Welt zu touren. Oder zumindest durch Deutschland. Große Shows zu haben und mit diesen Shows auch anderen die Möglichkeiten zu geben, mitzumachen. Das was ich jetzt mit den kleinen Shows bisher auch gemacht habe. Es ist super cool mit Leuten zusammenzuarbeiten, die auch diese Bühne wollten, aber bisher nie die Möglichkeit hatten, aufzutreten, weil Drag einfach nicht so bekannt ist. Irgendjemand muss da eben den ersten Schritt machen und das war für mich bisher schon eine große Bereicherung.
Es hat sich eine kleine happy family dadurch gebildet. Und es kommen immer mehr Leute dazu, die da auch Lust drauf haben.
Wer gehört denn alles zur Sweet and Spicy Crew?
Der Originalcast ist Elekktra Heart, Charles Dickends, Wolfgang Bäng, Veronica Mont Royal und meine Wenigkeit. Wir sind quasi die OGs. Aber aus Tübingen noch dazugekommen sind Wanda Hure und Polly Pickpocket.
Das sind alles sehr kreative Namen. Wie bist du auf den Namen „Honey Mustard“ gekommen?
Für mich war wichtig, dass sich im Dragnamen auch bisschen die Dragpersonality wiederspiegelt. Entsprechend brauchte ich einen Namen. Ich sage immer, es ist, als wären Aliens auf der Erde gelandet und müssten sich jetzt einen Namen aussuchen und sich dabei das Konzept von einem menschlichen Namen angucken. Also Vorname, Nachname und wie Namen eben ungefähr klingen. Dann lesen sie ‘Honey Mustard’ und denken sich: „Ja, das ist ein Name.“ Und genauso, dachte ich mir, muss mein Name werden. Ich habe am Ende einfach einen Namen genommen, dessen Witz darin steckt, dass er fast wie ein Name klingt, aber irgendwie auch neben der Spur ist. Und so ist mein Verständnis von Honey Mustard eben auch. Immer auf Abwegen, aber trotzdem auf dem Weg zum Ziel.
Wie genau kam es zu Honey Mustard und der Sweet and Spicy Crew?
Ich hatte diese Idee, angestoßen von Freunden. Ich wollte immer Drag machen, außerhalb von in Clubs gehen, ich wollte auf die Bühne gehen. Dass Leute kommen, weil sie Drag sehen möchten. Meine Freunde sagten dann: „Ja, dann mach doch. Dann mach deine eigene Show.“ Und ich war so: „Ja. Fuck it! Dann mache ich das halt!“ Da dachte ich, ich ziehe jetzt los. Über ein paar Veranstaltungen und den CSD kannte ich schon ein paar Leute, die in einem Workshop mitgemacht hatten und dort zum ersten Mal als Drag aufgetreten sind. Bei den Leuten habe ich gesehen, dass es mehr Potential gibt, dass sie mehr aus sich rauskommen können, wenn sie auftreten. Dann habe ich die angesprochen und die hatten auch Bock.
Wie kam es dann zu eurer ersten Dragshow in Tübingen im vergangenen Oktober?
Ich bin ins offene Plenum vom Epplehaus gegangen und meinte eben: „Hey, ich habe Bock das zu machen. Das ist queer, das ist anders, das ist divers. Und ihr habt die Räumlichkeiten dafür.“ Wir haben uns das dann ganz nett vorgestellt mit 50 oder 60 Leuten. Wir hatten ein Konzept für ca. eineinhalb Stunden. Dann habe ich alle möglichen Leute eingeladen und ein bisschen Werbung gemacht. Und dann sind am ersten Abend plötzlich 200 Leute aufgetaucht.
Wir waren alle total perplex. Wir hatten mit einem kleinen Auftritt gerechnet und dann haben die uns da die Bude eingerannt.
Dann war klar für uns, wenn die Leute so Bock drauf haben – und wir obviously so Bock drauf haben – dann braucht’s mehr davon.
Was glaubst du, lieben die Leute so an Dragshows?
Also ich selbst bin ja auch riesiger Dragfan. Als ich damals die ersten Dragshows besucht hatte, war das als ob man in eine andere Welt eintritt. Für mich ist der Anreiz, dass es so divers ist. Dass bei Drag so viel möglich ist. Es gibt Leute, die kunstvolle Sachen performen, es hat was von Theater.
Man ist voll eingefangen davon. Es gibt Leute, die machen witzige Zusammenschnitte und man lacht sich schlapp und alles passiert an einem Abend. Nach zwei Stunden ist es vorbei und es kommt einem alles so kurz vor und man denkt sich nur: „What the fuck, wo war ich gerade?“ Es ist queer, es ist farbenfroh und es ist immer eine Message dabei. Ich würde behaupten, Drag ist immer irgendwie politisch. Sobald man eben etwas macht, das an diesen heteronormativen Grenzen rüttelt. Das ist auch etwas, das ich immer versuche zu machen. Es hat diesen Faktor, bei dem man denkt:
„Es passiert etwas in dieser Welt. Für Leute wie uns.“
Erfährst du auch ab und zu Kritik?
Zu unseren Shows ist zum Glück noch niemand gekommen, der da irgendwie aufgefallen wäre. Ich glaube aber, dass unsere Community da auch sehr hinter uns stehen würde. Aber hinter der Anonymität des Internets verstecken sich immer Leute, die einem weismachen wollen, man sei krank und man solle sich Hilfe holen. Ich belächle das meistens nur. Aber das Ganze lässt eben auch zurückschließen auf ein größeres Problem. Dass es Leute gibt, die von ihren Familien ausgeschlossen werden, weil sie sind wie sie sind. Ich kenne auch Leute, die angespuckt oder geschlagen worden sind. Persönlich lasse ich mich davon nicht angreifen, aber Heteronormativität ist ein ganz großes Problem.
Manche blicken auf Männer herab, die ihre feminine Seite zeigen, weil sie das als verwerflich empfinden. Weil es schlecht ist, eine Frau zu sein.
Deswegen glaube ich, dass viel von der Homophobie und der Transphobie gegen Weiblichkeit an sich gerichtet ist. Diese Kommentare, die ich im Internet lese, deuten nur auf ein größeres Problem in der Gesellschaft hin.
Kommen wir zur letzten Frage: Honey Mustard, gibt es noch eine Message, die du an die anderen weitergeben möchtest?
Ich kann die Leute nur anfeuern: Stay strong, stay fucking sexy, stay healthy, stay the fuck home und schickt mir euren Animal Crossing Freundescode. Ich habe gute Rübenpreise.
Fotos: Honey Mustard, Hana Köblitz