Pünktlich zum Jahrestag der Reichspogromnacht hat eine internationale Tagung zur Erinnerungskultur gezeigt, wie junge Menschen mit der historischen Verantwortung umgehen können
Wie wichtig ist das Erinnern an historische Ereignisse wie den Holocaust? Was darf auf keinen Fall in Vergessenheit geraten? Und können wir Lehren aus der Vergangenheit für die Zukunft ziehen? Die internationale Tagung zum Thema Jugendengagement in der Erinnerungskultur hat sich Gedanken darüber gemacht, wie man Kindern und Jugendlichen einen angemessenen Zugang zu diesem Thema bieten kann.
„Es ist die Mischung aus den Menschen, die ich kennengelernt habe, und meine politisch-emotionale Überzeugung. Bei der Arbeit weiß ich, dass ich etwas Sinnvolles leiste“, meint Phillipp Lukas. Er ist Teil des Fördervereins Projekt Osthofen e.V. in Rheinland Pfalz. Dieser betreibt in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung die Gedenkstätte in Osthofen. Im März 1933 wurde dort ein Konzentrationslager errichtet, das bis zur Schließung im Sommer des Jahres 1934 vor allem politisch Verfolgte aus der Region gefangen gehalten hat. Gemeinsam mit seiner Kollegin Franziska Hendrich, die als studentischer Jugendguide für die Gedenkstätte Osthofen arbeitet, wurde er zur internationalen Tagung vom 3. bis zum 8. November 2020 eingeladen. Auch Studierende der Empirischen Kulturwissenschaft aus Tübingen haben mitgewirkt.
Erinnern mit Emotionen
Neben diesem passiven Engagement von jungen Menschen, also dem Erleben von Kultur an Orten des Gedenkens, spielt auch das aktive Engagement eine große Rolle – etwa durch die Mitarbeit in einem Verein oder einer erinnerungskulturellen Institution. So war beispielsweise Jana Schuhmacher aus Tübingen zu Gast, die sich im Jugendguide-Netzwerk des Landkreises Tübingen einsetzt und sowohl für Schüler als auch interessierte Erwachsene Touren zum Erinnern an den Holocaust anbietet. „Viele wissen zum Beispiel nicht, dass in dem Gebäude am Holzmarkt, wo heute der New Yorker drinnen ist, früher ein Bekleidungsgeschäft jüdischen Besitzers war“, erklärt sie.
Ein zentraler Aspekt bei der Arbeit mit Erinnerungskultur seien Emotionen. „Zahlen vergisst man“, betont Jana. Ein angemessener Zugang gelinge daher nicht nur über reine Fakten, sondern auch über emotionale und moralische Botschaften. Dennoch ist eine angemessene Darstellung wichtig. Sonst drohe eine „Überwältigungsgefahr“, meint Jan Springl von der Gedenkstätte in Terezin aus Tschechien. Eine zu brutale Darstellungsform bewirke oft das Gegenteil von Interesse bei jungen Menschen.
Erinnern durch Zeitzeugen
Umso wichtiger daher: Zeitzeugen. „Es ist eine persönliche, subjektive und eine moralische Botschaft“, erklärt Stephanie Wegener vom Adolf-Bender-Zentrum im Saarland. Zeitzeugen würden nicht nur wichtiges Quellenmaterial überliefern, sondern könnten auch selbst durch das Erzählen ihrer persönlichen Geschichte einen emotionalen Zugang schaffen. Das Versterben von Zeitzeugen sei daher eine große Problematik. Die digitalen Fortschritte böten zwar zahlreiche Möglichkeiten, Gespräche in Bild und Ton festzuhalten und somit für nachfolgende Generationen zugänglich zu machen, seien jedoch nur bedingt ein Ersatz: Die physische Nähe einem aktiven Gespräch sei es, die zu einer emotionalen Nähe führe.
Aber gerade während der Covid-19-Pandemie sind es Digitalisierungsprojekte, die den Zugang für weiterhin aufrechterhalten und besonders Interesse bei jungen Leuten wecken. So haben beispielsweise die Jugendguides des Landkreises Tübingen die Geocash-Strecke in Dußlingen erweitert, da in dieser Region KZ-Häftlinge zum Abbau von Ölschiefer eingesetzt wurden.
Trotz der komplexen Thematik und den verschiedenen diskutierten Aspekten dieser Tagung waren sich in einem Punkt schlussendlich alle Mitwirkenden einig: Die Geschehnisse des Holocaust sind nicht nur Geschichte, sie prägen unser Leben noch heute und dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Das Erinnern an historische Ereignisse, das Schaffen eines angemessenen Zuganges für junge Menschen, motivierte und engagierte Menschen in der Erinnerungskultur sowie ein Bewusstsein für die Relevanz zu erzielen sind wichtige Intentionen. Denn Vergangenheitsarbeit ist Zukunftsarbeit.
Titelfoto: Thomas Dinges
Fotos im Text: Jonathan Kamzelak