Johannes ist 26 Jahre alt. Er lebt und studiert im Raum Tübingen. Doch anders als andere Studierende in seinem Alter hat er eine besondere Vorgeschichte. Denn als er sein Studium antrat, lebte er noch als Frau. Unsere Redakteurin hat sich mit ihm getroffen und Fragen gestellt, die zwar viele haben, sich aber nicht trauen, zu stellen. Es geht um Selbstfindung und den Weg eines transsexuellen Mannes.
Erstmal: Vielen Dank, dass du diesem Interview zugestimmt und dir Zeit für mich genommen hast. Ich möchte dich gerne erstmal näher kennenlernen und fragen, wie lange du schon öffentlich als Transmann* lebst.
Gespürt habe ich das schon mein ganzes Leben. Es ist keine Entscheidung, die man von einem Tag auf den anderen trifft. Im Familienkreis lebe ich jetzt seit circa zwei Jahren offen als Mann und in der Hochschule erst seit etwa einem Jahr.
Kannst du beschreiben, wann und wie sich dieses Gefühl geäußert hat?
Ich denke, man weiß einfach „was“ man ist. Man spürt es in sich. Ich habe immer gespürt, dass ich ein Junge bin und gemerkt, dass ich alles Weibliche, das an mir ist, nicht mag oder es mir teilweise auch zuwider ist. Es fühlt sich für mich einfach unangenehm an, wie eine Frau behandelt zu werden und passt nicht zu mir. Schon im Kindergarten habe ich mich zu den Jungen gezählt und gesagt, dass ich ein Junge bin. Es war allerdings eine andere Zeit, in der dieses Thema noch nicht so ernst genommen wurde.
An wen hast du dich mit deinen Gefühlen gewandt? Wie kam es zu dieser mutigen Entscheidung, deinen Wunsch als Mann zu leben, umzusetzen?
Ich hatte das große Glück, dass eine Freundin auf mich zugekommen ist und mich auf mein „richtiges Ich“ angesprochen hat. Sie hatte mich quasi durchschaut und mir klar gemacht, dass es einen Ausweg aus dieser Situation gibt.
Wie bist du den Schritt in dein neues Leben gegangen?
Natürlich habe ich schon immer gewusst, dass ich ein Junge bin. Ich hatte allerdings das Gefühl, ich müsse zu den „normalen Leuten“ gehören und wollte nicht auffallen. Heute weiß ich, dass ich damals einfach etwas töricht war. Aber dank meiner Freunde und meiner Familie habe ich die Möglichkeit zu einer Beratung bekommen, welche mir geholfen hat, aus diesem Käfig auszubrechen und einfach Johannes zu sein.
Wie hat sich dein Leben seit deinem Entschluss, als Mann zu leben, verändert?
Es hat sich gar nicht so viel getan. Natürlich hat sich mein Aussehen verändert. Ich bin jetzt allerdings viel offener und offensiver geworden. Ich war sehr schüchtern und zurückhaltend, das ist komplett verflogen. Ich gehe mehr aus, bin unternehmungslustiger und habe nicht mehr das Gefühl mich verstecken zu müssen. Ich kann einfach Ich sein. Das Leben fängt endlich an, Spaß zu machen!
Machst du eine Hormontherapie bzw. ziehst eine in Betracht?
Du hörst es wahrscheinlich schon an meiner Stimme, ich habe tatsächlich eine Hormontherapie begonnen. Meine Stimme wird dadurch dunkler und meine Gesichtszüge etwas verschärfter. Der Körperbau wird muskulöser werden, mehr Haare und vielleicht einen Bart – wenn man Glück hat. Ein Bart wäre schon cool! [lacht]
Wie stehst du zur Geschlechtsangleichung bei Transmenschen*?
Man versucht ja den Körper, der nicht zu dem gefühlten Geschlecht passt, anzupassen, um den Leidensdruck, welcher durch dieses Gefühl des „falschen Geschlechts“ entsteht, zu lindern. Hierbei gibt es verschiedene Schritte, die man machen kann. Das heißt, jeder kann selbst entscheiden, wie weit er dabei gehen möchte. Ich persönlich schließe es für mich selbst auch nicht aus.
Machst du dir Gedanken, dass andere merken könnten, dass du biologisch weiblich geboren bist? Zum Beispiel anhand deiner Stimme oder deines Aussehens?
Ja, ich mache mir schon hin und wieder Gedanken darüber. Man macht sich ja selbst immer die meisten Gedanken. Es wird aber immer besser. Natürlich hat man mal so seine Phasen, in denen man das Gefühl hat, heute könnte es passieren, dass man sich als Transperson* outet. Es fällt allerdings den wenigsten auf. Trotzdem meide ich aktuell noch große Menschenansammlungen.
Welche Umkleidekabine oder Toilette benutzt du?
Männer. Man muss dazu sagen, dass ich keine Situationen mehr erlebt habe, in denen ich in eine Umkleidekabine musste. Aber an der Hochschule benutze ich die Männertoilette. Es war mir damals schon unangenehm, auf die Damentoilette zu gehen. Ich war bisher allerdings noch nicht der „freien Wildbahn“ ausgeliefert [lacht]. Ich meine damit, dass ich bisher nicht öffentlich, außer in der Hochschule, zur Toilette musste.
Wie füllst du Formulare aus, wenn es um dein Geschlecht geht? Hast du einen Ergänzungsausweis?
Bei offiziellen Angelegenheiten, wie zum Beispiel Bankgeschäften, nutze ich noch meinen alten Namen. Ich habe aber schon eine Namensänderung beantragt, um überall als Johannes eingetragen werden zu können. Einen Ergänzungsausweis benötige ich dann nicht, da somit mein offizieller Ausweis geändert wird.
Wie geht deine Familie mit dieser neuen Situation um?
Meine Familie geht sehr offen damit um. Ich wurde nicht bedrängt oder zu irgendetwas gezwungen. Sie haben es sich ja schon gedacht. [lacht]
Hat sich dein Freundeskreis seither gewandelt?
Auch da hatte ich großes Glück und habe keinen Gegenwind bekommen. Für meine Freunde gab es gar kein Problem. Es gab eine einzige Ausnahme, welche, rückblickend betrachtet, vermutlich einfach keine richtige Freundschaft darstellte.
Und mit welchem Geschlecht gehst du aus?
Ich stehe auf Frauen, bin aber noch single. Ich wurde bisher leider einfach noch nicht so sehr als Mann beachtet. Das ändert sich hoffentlich bald. Ich fühle mich mit der Zeit immer wohler in meiner Haut und strahle das somit auch immer mehr nach außen aus.
Wie stehst du zum Gendern? Findest du es wichtig, dass die Sprache sich dahingehend wandelt?
Es ist sehr wichtig. Ich habe natürlich den Vorteil, meinen Platz als Mann in unserer sehr binären Gesellschaft schon gefunden zu haben. Ich passe somit in alle gängigen Schablonen. Ich kann es mir allerdings nicht vorstellen, wie es für die Menschen sein muss, die sich in diesem binären Stil nicht wiederfinden. Ich finde es daher schon wichtig auf das Gendern zu achten. Man zeigt damit eine Art ‚Wir haben euch nicht vergessen‘. Wir sollten mit Sprache jeden ansprechen und miteinbeziehen.
Letzte Frage: Fühlst du dich in deiner Heimat wohl und willkommen als Transmann*?
Absolut. Ich fühle mich angenommen und wohl, was auch darauf zurückzuschließen ist, dass ich keinen Gegenwind zu spüren bekommen habe.
Lieber Johannes, damit sind wir am Ende angekommen. Ich danke dir nochmals für dieses sehr persönliche Interview.
Fotos: Kyll Langheinrich
Illustration: Arnela Killguß