Die letzte Generation hat mit einigen spektakulären Blockadeaktionen in diesem und dem letzten Jahr auf sich aufmerksam gemacht. Neben der Forderungen nach mehr Klimaschutz wird dabei in der Öffentlichkeit auch die Vorgehensweise der Aktivist*innen diskutiert, die durch das Versperren von Straßen Verkehrsteilnehmer*innen sowie alle anderen auf die drohende Klimakatastrophe aufmerksam machen wollen. Vertreter*innen der letzten Generation in Tübingen luden am Donnerstag zu einem Infoabend ein, an dem sie um Unterstützer*innen warben, sich aber auch kritischen Fragen zu ihren umstrittenen Aktionen stellten.
Der Klimawandel ist vermutlich die größte Herausforderung unserer Zeit. Laut jüngstem Bericht der Weltwetterorganisation (WMO), hat sich die globale Oberflächentemperatur für den Zeitraum 2011 bis 2022 gegenüber von 1850 bis 1900 bereits um durchschnittlich 1,1 Grad erhöht. In einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Meldung geht die WMO sogar davon aus, dass in den nächsten Jahren die globale Durchschnittstemperatur 1,5 Grad über den Temperaturen vor der Industrialisierung und somit dem Beginn des menschengemachten Klimawandels liegen wird.
Vor den Folgen der Erderwärmung wird seit Langem gewarnt. Dazu gehört die Zunahme von Extremwetterereignissen, was etwa ganz konkret bedeutet, dass es seltener regnet und wenn doch, dann oft viel zu viel auf einmal. Ein weiteres bedrohliches Szenario besteht in den ansteigenden Meeresspiegel infolge abschmelzender Eisschilde in der Antarktis und Grönland. Dadurch, aber auch, weil infolge extremerer Temperaturen machen Gegenden entlang des Äquators unerträglich heiß werden könnte, drohen Millionen, wenn nicht gar Milliarden, Menschen ihre bisherige Heimat zu verlieren. Große globale Fluchtbewegungen wären die wahrscheinliche Folge.
Die letzte Generation vor der Klimakatastrophe
Wie ernst die Lage ist, betonen auch Jana (25) und Percy (43). Die beiden Aktivist*innen der Letzten Generation luden am Donnerstag in Tübingen-Lustnau Interessierte zu einem Infoabend im Café Viertel Vor ein. Beide sind darüber enttäuscht, wie wenig die Bundesregierung bislang unternommen hat, um die Erderwärmung zu bekämpfen.
Percy zählt zu Beginn eine Reihe Mängel der aktuellen Klimapolitik auf: ein Kernziel des Pariser Klimaabkommens, zu deren Vertragspartnern auch Deutschland zählt, die Erderwärmung im Vergleich zu vor Beginn der Industrialisierung auf 1.5 Grad zu beschränken, sei bereits nahezu verfehlt. Die CO2-Emissionen Deutschlands stagnierten für das vergangene Jahr auf hohem Niveau. Ende März beschloss die Ampelkoalition sogar, dass das aktuelle Klimaschutzgesetz aufzuweichen. Fortan sollen nicht mehr einzelne Ministerien für das Verfehlen von Klimazielen in ihrem Zuständigkeitsbereich verantwortlich gemacht werden können. Dabei hatte im April 2021 das Bundesverfassungsgericht noch geurteilt, dass die Klimaschutzmaßnahmen ohnehin schon die Grundrechte zukünftiger Generationen zu wenig berücksichtigt.
Für die Aktivist*innen der letzten Generation ist das Anlass genug, zu radikaleren Methoden zu greifen, um die drohende Klimakatastrophe zumindest soweit abzuwenden, wie es jetzt noch möglich ist. Letztlich, so argumentiert Percy, setzte er sich nur dafür ein, dass sich die Bundesregierung an die Prinzipien des Grundgesetzes und an die von ihr unterzeichneten Ziele des Pariser Klimaschutzabkommen halte.
Für Jana ist es nur gerecht, dass Länder wie Deutschland mehr für den Klimaschutz tun sollten. Man befinde sich in der paradoxen und zutiefst ungerechten Situation, dass industrialisierte Länder in der Nordhalbkugel mit ihren CO²-Emissionen historisch am meisten zur Erderwärmung beigetragen haben, aber im Vergleich zu Ländern des Globalen Südens vergleichsweise weniger stark von Temperatur- und Wetterextremen betroffen sein werden.
Für beide spielt auch ihr Bildungs- und beruflicher Hintergrund eine Rolle. Jana studiert Soziale Arbeit und sieht daher besonders stark die Gefahr, dass der Klimawandel bestehende soziale Ungleichheiten weiter verschärft. Percy arbeitet als pädagogische Fachkraft und Ausbilder für Rettungssanitäter. Ehrenamtlich ist er auch selbst noch als Rettungssanitäter aktiv. Sorge um die Zukunft von Kindern, ganz konkret auch seiner eigenen, sind für ihn ein maßgeblicher Grund, sich bei der Letzten Generation einzubringen.
Gesellschaftsrat zum Beratschlagen über Klimaschutz
Konkret fordert die Letzte Generation neben verschärften Klimaschutzmaßnahmen das Einberufen eines Gesellschaftsrats von 160 zufällig ausgewählten Personen, welche zusammen mit Experten Vorschläge zur Abwendung der Klimakatastrophe ausarbeiten sollen. Über das zufällige Auswahlverfahren soll sichergestellt werden, dass der Rat repräsentativ zusammengesetzt ist.
Ich frage die beiden, ob diese Forderung nicht gleichzeitig eine Misstrauenserklärung gegenüber dem Bundestag sei, dem man damit ja zwangsläufig abspricht, ausreichend repräsentativ zu sein. Das sehen sie jedoch anders. Jana gibt etwa zu bedenken, dass Bundestagsabgeordnete aus ihrer Sicht zu sehr in Legislaturperioden denken und längerfristige Herausforderungen wie den Klimawandel daher nicht ausreichend im Blick hätten. Percy wiederum verweist auf die historische Bedeutung des Losverfahrens in antiken Demokratien wie dem damaligen Athen als Beispiel dafür, wie demokratisch dieses Verfahren sei.
Percy nennt im Laufe des Abends noch eine ganze Reihe von historischer Beispiele, an deren Tradition die Letzte Generation mit ihren Aktionen aus seiner Sicht anknüpft, etwa wenn es um das Anwenden zivilen Ungehorsams geht. Ähnliche Methoden wurden auch von der britischen Suffragetten- oder der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung mit Erfolg angewandt.
Zu der historischen Einordnung gehört allerdings auch, dass es sich bei keiner dieser Gesellschaften zum damaligen Zeitpunkt um vollwertige Demokratien handelte, die es allen Bürger*innen gleichermaßen ermöglicht hätten, sich auf demokratischen Weg für ihre Interessen einzusetzen. Den Frauen- und Bürgerrechtlern der damaligen Zeit blieb daher gar keine andere Wahl, als sich für ihre Anliegen mit mitunter undemokratischen Methoden einzusetzen, weil ihnen demokratische Mittel und Wege schlicht und ergreifend nicht zur Verfügung standen. Heute ist das anders.
Unterstützung und Kritik an der Letzten Generation
In der Teilnehmer*innenrunde wird auch Kritik geäußert: Ein Ökonom und Kulturwissenschaftler bemängelt etwa symbolische Angriffe von Aktivist*innen der Letzten Generation auf bekannte Kunstwerke. Er selbst leite ein Museum in seiner Heimatstadt in Bolivien und findet es daher gar nicht gut, wenn Aktivist*innen, aus egal welchen Gründen, die Sicherheit von Ausstellungsstücken gefährden, auch wenn Kunst in Museen in der Regel gut gesichert sei und durch solche Aktionen keine bleibenden Schäden an den Kunstwerken entstünden.
Percy wendet ein, dass auch hier die ergriffenen Maßnahmen kein Selbstzweck seien, sondern lediglich ein äußerstes Mittel mit dem Zweck, weitere und dringend benötigte Klimaschutzmaßnahmen herbeizuführen. Er erzählt auch davon, dass es infolge dieser Aktionen, sogar zu einer Reihe gemeinsamer Veranstaltungen der Letzten Generation und mehrerer Museen im Großraum Stuttgart bekommen sei.
Insgesamt ist die Stimmung im Raum der Letzten Generation gegenüber aber eher unterstützend als kritisch. Auf die Frage, was sein Interesse an der Letzten Generation geweckt habe, erzählt etwa ein Informatiker, dass er gerade ins Arbeitsleben eingestiegen sei und sich einfach wünschte, in seinem Leben mehr zu tun als, nur zu arbeiten und Geld zu verdienen, und darüber hinaus auch etwas für die Gesellschaft zu tun.
Zwischen Ökonom*innen und Informatiker*innen bekommt man dabei mitunter den Eindruck, dass sich vor allem Menschen mit akademischem Hintergrund für die Arbeit der Letzten Generation interessieren. Jana räumt ein, dass man noch mehr tun möchte, um auch die ganze Gesellschaft und nicht nur Teile davon besser zu erreichen. Man hoffe, so Jana, gerade auch in Zusammenarbeit mit Gruppen wie Azubis for Future auch verstärkt Nichtakademiker*innen zu erreichen.
Keine Straßenblockade ohne Rettungsgasse
Die Letzte Generation ist bekannt dafür, dass sie, obwohl sie sich auf Straßen kleben und diese blockieren, bis sie von den Behörden entfernt werden, keine Konfrontation mit Autofahrer*innen und Polizist*innen sucht. Die Frage, ob sie es persönlich für richtig halten, dass Aktivist*innen wie sie dafür festgenommen werden können, bejahen sie, und das, obwohl sie beide auch schon einmal selbst vorläufig festgenommen wurden.
Wer bei der Letzten Generation mitmacht, der riskiert mitunter einiges. Bei wiederholten Aktionen drohen eine Verurteilung und längere Haftstrafen. In einem Fragebogen, der unter den Teilnehmer*innen verteilt wird, versucht zu erfassen, welche Form der Beteiligung sich die einzelnen Personen vorstellen können, und auch, wer sich noch Informationen oder Unterstützung finanzieller wie persönlicher Art wünschen würde, bevor er eine Entscheidung darüber treffen kann, ob er mitmachen möchte.
Wer sich zusammen mit anderen auf eine Straße kleben will, muss davor aber erst ein sogenanntes Aktionstraining durchlaufen. Hier wird auch geübt, beim Festkleben darauf zu achten, dass ausreichend Platz für eine Rettungsgasse vorhanden ist. Gerade Percy weiß aus seiner eigenen Erfahrung als Rettungssanitäter aus erster Hand, wie oft er und seine Kolleg*innen im Stau stehen. Ihn ärgert es, dass Personen, die sich aus seiner Sicht bislang nicht für dieses Problem interessiert hätten, es nun als Argument gegen die Straßenblockaden der Letzten Generation verwenden.
Grundsätzlich befänden sich bei Straßenblockaden der Letzten Generation in der Straßenmitte immer zwei Aktivist*innen, die nicht festgeklebt seien und im Notfall Platz für einen Rettungswagen machen könnten, vorausgesetzt, die Autofahrer*innen dahinter haben ebenfalls eine Rettungsgasse gebildet.
Natürlich wird auch viel darüber diskutiert, inwiefern es sinnvoll oder überhaupt möglich ist, arglosen Passant*innen mittels einer Blockadeaktion gewissermaßen dazu zu zwingen, sich mit Klimaschutz zu befassen. Der Kulturwissenschaftler aus Bolivien ist auch in dieser Frage eher skeptisch. Ein Bekannter von Jana, der später hinzukommt, gibt hier zu bedenken, dass er solche Diskussion schon oft geführt habe und sich dabei jedes Mal frage, ob nicht eigentlich schon der Umstand, dass man so häufig und heftig darüber diskutiere, beweise, dass die Strategie funktioniert.
Die letzte Generation zeigt sich an diesem Abend in Tübingen als eine Gruppe, die zwar mit radikalen Methoden vorgeht, deren Angehörige sich jedoch offen für Kritik zeigen, die von der Notwendigkeit ihrer Handlungen überzeugt und dabei auch bereit sind, für ihren Aktivismus Verantwortung zu übernehmen.
Bilder: Percy O. Collas Joo