Politik

Corona und Klima – Sind zwei Krisen eine zu viel?

Vor der Corona-Pandemie hatte der Streit um die Lösung der Klimakrise die öffentliche Debatte geprägt. Insbesondere den Aktivist*innen der “Fridays for Future”-Bewegung war es gelungen, die Dringlichkeit des Problems auf die Agenda zu setzen. Mit der Corona-Krise wurde es wieder ruhiger um das Klima. Wie geht die Bewegung damit um? Unsere Redakteurin hat mit einer Tübinger Aktivistin gesprochen.

Die Corona-Pandemie hat unsere ganze Gesellschaft fest im Griff. Neben den massiven Folgen für die Wirtschaft und unser soziales Leben hat sich auch das Streiken stark anpassen müssen. Davon ist besonders die „Fridays for Future“-Bewegung betroffen, die sich weltweit für den Klimaschutz einsetzt.

„Unsere Strategie beruhte darauf, dass wir auf der Straße demonstrieren, mit vielen Leuten. Und das konnten wir dann so nicht mehr machen“, berichtet Anneke Martens von Fridays for Future Tübingen im Gespräch mit der Kupferblau. Die Anhänger*innen demonstrierten meistens freitags auf öffentlichen Plätzen.

Wegen des Infektionsrisikos mussten die Proteste, zu denen deutschlandweit normalerweise Hunderttausende kamen, vorerst eingestellt werden. Anneke erzählt von den Veränderungen, die die Pandemie für Fridays for Future Tübingen und die ganze Bewegung gebracht hat.

Im Internet und auf der Straße

Um sich, wie wir alle, an die neuen Standards der Pandemie anzupassen, hat Fridays for Future die Proteste, die sonst auf den Straßen stattgefunden haben, fast vollständig ins Internet verlegt. Statt bunten Demos planten die lokalen Teams nun Netzstreiks. Das erforderte viel Aufwand und „war für uns eine riesige Herausforderung“, erzählt Anneke.

Die Verständigung innerhalb der Fridays for Future-Bewegung wurde durch die Pandemie jedoch kaum beeinflusst. Anneke erzählt, dass die interne Kommunikation bereits über Telefonkonferenzen verlief und Informationen über soziale Medien an ihre Anhänger*innen übermittelt wurden. Diese erfuhren über die geplanten Streiks, egal ob im Netz oder auf der Straße.

Trotz der großen Reichweite der Bewegung in den sozialen Medien stellten die fehlenden Proteste vor Ort ein Problem dar. Die Netzstreiks waren eine vorübergehende Lösung, die das Infektionsrisiko minimierten und trotzdem für Präsenz sorgen konnten.

Doch die Online-Events sprechen fast nur die Menschen in den sozialen Medien an, die sich bereits in der “Internet Bubble” der Anhänger*innen befinden. Im Vergleich dazu erreichen Proteste auf der Straße alle Menschen, die sich gerade in der Nähe befinden und somit auch jene außerhalb von “Bubbles”.

Genau deshalb waren die Aktivist*innen und Anhänger*innen am 19.03.21 zum globalen Streik wieder auf den Straßen und veranstalteten einen Sitzstreik auf dem Tübinger Marktplatz. Zusätzlich fand auch ein Streik im Internet statt, mit einem bundesweiten Livestream.

Dabei konnte man auch von zu Hause aus bei den großen Aktionen in Deutschland und rund um die Welt dabei sein. Dieser Hybrid des Streiks scheint für die Fridays for Future-Bewegung zu Zeiten der Pandemie eine gute Alternative zu sein.

Anneke, mit der wir gesprochen haben, beim Sitzstreik von Fridays for Future Tübingen am 19.03.2021.

Fridays for Future Tübingen

In der ersten Hälfte von 2020 fanden in Tübingen noch kleinere Protestaktionen vor dem Rathaus statt. Mit Hygienekonzept und Abstand konnten auch Sitzstreiks und Fahrradproteste abgehalten werden. Die kommunalpolitischen Ziele für 2020 in Tübingen haben die Klimaaktivist*innen trotz der verringerten Proteste erreichen können.

Außerdem beschloss der Gemeinderat das Klimaschutzprogramm 2020-2030 für Tübingen. In diesem Programm sind einige der Forderungen enthalten, die Fridays for Future Tübingen Anfang 2020 veröffentlicht hat. „Das ist eine sehr gute Sache. Trotzdem können wir uns nicht darauf ausruhen, sondern es muss sofort weitergehen“, betont Anneke.

Der Aktionsplan für 2021 stellt alle Maßnahmen vor, die noch in diesem Jahr umgesetzt werden können. Dabei hat sich Fridays for Future Tübingen auf die drei Bereiche Energie, Verkehr und Einbindung der Unternehmen in den Umweltschutz fokussiert.

Auch an die Eberhard Karls Universität stellt die Gruppe Forderungen. Diese beinhalten unter anderem die Nutzung der Abwärme der Rechenzentren und die Dachsanierung mit Photovoltaikanlagen.

Klimapolitik in Deutschland

Auch wenn Baden-Württemberg seine Klimaziele im Jahr 2020 erreicht hat, sollte man sich nicht davon täuschen lassen. Diese Senkung der Emissionen konnte hauptsächlich durch den corona-verursachten Lockdown erreicht werden. Die reduzierten Pendler*innenströme, der eingeschränkte Flugverkehr und die Reduktion der Industrie verminderten die CO2-Emissionen nur kurzfristig.

„Die 2020-Ziele waren trotzdem viel zu niedrig gesetzt“, beklagt die Aktivistin. Zusätzlich waren die Erfolge in der CO2-Reduktion nur „ein punktueller Abbruch“ und nicht vergleichbar mit einer geplanten langfristigen Reduktion  umweltschädigender Treibhausgase.

„Die Fortschritte im kommunalen Bereich kann man aber in der Bundespolitik kaum wiederfinden“, beklagt Anneke. Der Fokus liege dieses Jahr auf der Bundestagswahl und dem damit verbundenen Wahlkampf. Zwar werde mehr auf Klimapolitik geachtet, aber noch nicht so sehr, wie Fridays for Future es fordert.

„Man muss aber auch sehen, dass eigentlich keine Partei ein 1,5 Grad-gerechtes Programm hat. Obwohl die Klimakrise und das Pariser Klimaabkommen von fast allen angenommen werden, entsprechen die Maßnahmen, die geplant sind, dem nicht“, so Anneke.

Dennoch gebe es Hoffnung – aufgrund des politischen Managements in der Corona-Pandemie. „Am Anfang der Pandemie hat man dann auch gemerkt, dass politisch schlagartig ganz viel möglich war“, sagt Anneke.

Genau diesen politischen Willen wünschen sich die Aktivist*innen auch für die Bekämpfung der Klimakrise. „Das sollten wir bei der Klimakrise genauso machen, nur noch besser“, hofft Anneke. „Ich denke, Corona hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, sich langfristig auf Krisen vorzubereiten”.

Die Klimakrise stelle immer noch eines der größten Probleme der Menschheit dar, weshalb wir hierfür eine bessere Vorbereitung und Planung bräuchten. Die Prävention von Naturkatastrophen und weiteren Krisen müsse verbessert werden. Diese Pandemie habe uns gezeigt, dass die temporäre Bekämpfung von Symptomen keine Strategie sein könne.

Bei Sitzstreiks können die Abstände gut eingehalten werden.

Klima und die Medien

Zusätzlich fehle die Repräsentation der Klimakrise in den Medien. Anneke kritisiert, dass der Klimaschutz medial nicht genug aufgegriffen werde und sich die Berichterstattung hauptsächlich um die Coronakrise drehe. Die Verbindung von Natur und Gesundheit und auch „der Zusammenhang von Umweltzerstörung und dieser Pandemie“ sei noch viel zu wenig thematisiert.

„Deshalb müssen wir weiter protestieren“, schlussfolgert Anneke. Die Aktivist*innen gehen davon aus, dass sich das Klimabewusstsein der Menschen nicht verringert hat. Es sei lediglich unzureichend darüber berichtet worden.

Außerdem macht Anneke auf eine falsche Konnotation des Klimaschutzes durch Corona aufmerksam. Die Befürchtung, dass der Klimaschutz so gravierende Auswirkungen auf die Gesellschaft habe wie diese Pandemie mache vielen Angst.

Das sei jedoch nicht vergleichbar, da bei einem geplanten Klimakonzept das soziale Leben nicht massiv reduziert werden müsse und auch Kurzarbeit keinen Nebeneffekt darstelle.

Wie geht es weiter?

Auch wenn die Anpassungen der Aktionen an die Pandemie anfänglich sehr herausfordernd waren, haben sich die Aktivist*innen nicht vom Streiken abhalten lassen. Obwohl der Netzstreik nicht so erfolgreich war wie ein normaler Streik, gibt es dennoch Formate, die sich während der Pandemie bewährt haben.

Besonders Online-Vorträge sollen laut Anneke beibehalten werden. Dabei können viel mehr Menschen erreicht werden. Zusätzlich können Reisekosten und CO2-Emissionen eingespart werden.

Regional haben die Aktivist*innen für dieses Jahr auch mit der Pandemie viel vor. Neben dem Bürgerentscheid zur Innenstadtstrecke der Regionalstadtbahn in diesem Jahr hat Fridays for Future Tübingen die Forderungen ihres Aktionsplanes im Blick.

Obwohl Corona für viele Umstände und Belastungen gesorgt hat, sind die Aktivist*innen zuversichtlich: Je mehr Menschen sich für eine klimagerechte Politik einsetzten und auf den Straßen seien, desto mehr Druck könne aufgebaut werden.

Abschließend wünscht sich Anneke mehr Bewusstsein über die Dringlichkeit und Tragweite des Klimawandels in der Bevölkerung. Zudem erhofft sie sich eine bessere Repräsentation des Kilmaschutzes in der medialen Berichterstattung und mehr politisches Engagement.

Klimaschutz sei anstrengend und koste viel Einsatz. Aber es gebe den Aktivist*innen viel mehr zurück und schaffe eine Lebensgrundlage für alle zukünftigen Generationen.

Fotos: Thomas Dinges

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